Niveaustufen

Dr. Helios Scherer, SchR, Fachbereich Fortbildung und Gemeinschaftsschulen


Begriffsklärung und Vorgehensweise

Werden Fachbegriffe verwendet, ist ein tieferes Verständnis von Struktur, Bedeutung und Steuerungserwartung die Voraussetzung für erfolgreiche Lernprozesse.

Ohne Begriffsklärung werden die Begriffe (1) Niveaustufe, (2) Lernniveau/Lernfortschritt und (3) Bildungsstandard für Bezeichnungsvorgänge ohne Trennschärfe in der Bedeutung verwendet. Eine begriffssichere Orientierungsfunktion zur Handlungssteuerung, die auch die Qualität von Materialien und Werkzeugen bestimmt, ist auf die Weise kaum möglich.

Angemessen wäre eine deduktive Vorgehensweise: Ausgehend von Strukturklarheit werden Ziel- und Zweckverständnis bestimmt. Die Methodenauswahl erfolgt zielorientiert und bestimmt die Umsetzung vor Ort.

Bezüglich des Ziel- und Zweckverständnisses sind (in Abhängigkeit vom Beobachter) unterschiedliche Ausrichtungen und Erwartungshaltungen möglich:

  1. Steht das personalisierte Lernen des Einzelnen im Fokus des Beobachters und ist Verbesserung der Qualität der Lernprozesse das Ziel, dann sind theoriebasierte, fachlich reflektierte Lernsteuerungsmodelle das Mittel der Wahl:
    • Das (1) Niveaustufenmodell (Niveaustufe), welche die Durchdringungstiefe definiert: 
      A, B, C
      oder (alternativ)
    • das (2) Prozessfortschrittsmodell (Lernniveau/Lernfortschritt) welches sich an der Lernzieltaxonomie nach Bloom orientiert:
      A1, A2, B1, …, C2.
  2. Steht die besuchte Schulart bzw. der Schulabschluss sowie die damit verbundene Quantität der Inhalte im Fokus des Beobachters und sind Selektion und Allokation die Ziele, dann ist der mit dem (3) Bildungsplan verbundene Rekurs auf Vollständigkeit der Inhalte die Steuerungsmaßnahme. Lernleistung wird über „Menge pro Zeiteinheit“ festgestellt.

(1) Das Niveaustufenmodell zur Lernsteuerung

Definition von Niveaustufen

Lernen (u.a. Kompetenzerwerb) kann im konstruktivistischen Theoriezusammenhang als Verbindung zweier benachbarter Ebenen der Verhaltenskoordination beschrieben werden. Entsprechend der vier Ebenen der Verhaltenskoordination ergeben sich drei Niveaustufen zur Beschreibung von Lernvorgängen und Wissensstrukturen, die wir mit A-, B- bzw. C-Niveau bezeichnen:

  • Niveau A: Handeln, Benennen
  • Niveau B: Erklären, Verstehen
  • Niveau C: Strukturieren, Bewerten

Entprechend können im Ziel drei Wissenarten unterschieden werden:

  • Niveau A: Routinebildung (prozedurales Wissen)
  • Niveau B: Erkenntnis (deklaratives Wissen)
  • Niveau C: Transfer (konzeptuelles Wissen)

 

Fähigkeiten/
Handlungen 
Systemebene Niveaustufe  
 bewerten/
übertragen
Struktur     C
verstehen/
einordnen
Bedeutung   B
wissen/
wiedergeben
Bezeichnung A  
können/
umsetzen
Handlung    

 A-Niveau: Handlungsschritte können vollzogen und die zugeordneten Bezeichnungen können wiedergegeben werden. Qualitäts-/ Prüfkriterium ist „Vollständigkeit der Wiedergabe“. Entwicklungsziel ist „Routinebildung“. A-Niveau: Handlungsschritte können vollzogen und die zugeordneten Bezeichnungen können wiedergegeben werden. Qualitäts-/Prüfkriterium ist „Vollständigkeit der Wiedergabe“. Entwicklungsziel ist „Routinebildung“. 

B-Niveau: Zusammenhänge können hergestellt und über Definitionen mit Bedeutung versehen werden (Begriffsbildung). Qualitäts-/Prüfkriterien sind „Aussagegehalt“ und „innerer Zusammenhang“ (Verständnis). Entwicklungsziel ist „Erkenntnis“.

C-Niveau: Hinter den Erfahrungen liegende Prinzipien werden erkannt und können auf andere Gebiete übertragen werden. Struktur, Leistung und Grenzen von Konzepten und Modellen können im Rahmen von übergeordneten Kriterien beurteilt werden (z.B. einer Strukturtheorie, Ethik, …). Das Qualitätskriterium ist „Angemessenheit“. Entwicklungsziel ist „Transfer“.


(2) Das Prozessmodell zur Lernsteuerung

Lernfortschritt gemäß Lernzieltaxonomie nach Bloom

Die Bloom‘sche Lernzieltaxonomie, deren Struktur im europäischen Sprachenportfolio sowie in einigen Kompetenzrasterformaten übernommen wurde, beschreibt in ihren Abstufungen einen für Lernprozesse typischen Entwicklungsfortschritt in beobachtungsvalide definierten Abschnitten. Indem ein Nacheinander von Schritten markiert wird, welches den Lernfortschritt als Prozess vom Anfänger über den Fortgeschrittenen bis zum Experten nachvollziehbar macht, entsteht die Beschreibung des vollständigen Lernprozesses, in dem verschiedene Lerner unterschiedlich weit kommen. „Lernniveau“ bedeutet hier „wahrnehmbarer Prozessfortschritt auf dem Weg zur Expertise.“

Indem die Steuerungsmodelle (>> Niveaustufen und >> Prozessmodell) aufeinander bezogen und abgebildet werden, können wir feststellen, dass beide einander funktional vollständig erfassen bzw. abbilden und so bei unterschiedlicher Struktur gleichermaßen Lernvorgänge beobachtbar, beurteilbar und förderbar machen:

Alle Niveaustufen sind im Prozessmodell enthalten, kommen in der Beschreibung des vollständigen Lernprozesses vor.


(3) Bildungsstandards und Lernleistung

Die Struktur des Bildungsplanes 2016

Der Bildungsplan 2016 für Baden-Württemberg definiert über Kompetenzkompendien unterschiedlicher Mächtigkeit drei Lernleistungsniveaus, welche mit den angestrebten Abschlussoptionen „Hauptschulabschluss“ (G), „mittlerer Abschluss“ (M) und „Option auf Abitur“ (E) korrespondieren.

G: A-/B-/C-Niveau-Kompetenzen
M: Kompetenzen aus G, plus weitere Kompetenzen als Alleinstellungsmerkmal
E: Kompetenzen aus M, plus weitere Kompetenzen als Alleinstellungsmerkmal

  • Von Niveaustufendifferenz sollte bei den Leistungsstufen G / M / E nicht gesprochen werden, da alle Niveaustufen im definierten Sinne in allen drei Lernleistungsbereichen vorkommen.
  • Die angeführten Kompetenzbeschreibungen in allen drei Bildungsstandards sind redundant, werden in M und E jeweils wörtlich wiederholt und dort gegebenenfalls um zusätzliche Anforderungen (Alleinstellungsmerkmale) ergänzt.
  • Ein unterschiedliches Lernleistungs-“Niveau“ ergibt sich allein aus der größeren Menge an in gleicher Zeit zu bewältigenden Inhalten auf dem mittleren und dem erweiterten „Bildungsstandard“ (Menge pro Thema, Lernfeld, Schuljahr, Zeiteinheit …). „Gymnasiales Niveau“ bedeutet „hohe Lernleistung“, also „multiplen Kompetenzerwerb“ und „simultane Performanz“, aber nicht: „Höhere Lerntiefe“ oder „Expertenstatus“.
  • Die Bemühungen mit Hilfe von Operatorenlisten (die sich von Fach zu Fach unterscheiden), den Niveaustufenbegriff (>Lernsteuerung!) auf die Abschlusskompendien abzubilden, erzeugt fachlich wie sachlich unklare Vorstellungen von Lerntiefe auf allen drei Leistungsstufen.

 

Schulen, die bestehende Widersprüche aufarbeiten möchten ohne neue Probleme zu produzie-ren, müssen sich diesen Aufgaben widmen:

  • Niveaustufen in allen Standards garantieren (> ggfls. Operatoren modifizieren)
  • Redundanzen kürzen und Alleinstellungs-Anforderungen herausarbeiten bzw. isolieren
  • Lernleistung gezielt fördern und über identifizierte Zusatzthemen höherer Standards abrufen

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